Das Ego und seine Rolle in einer Selbstverteidigungssituation im stoischen Sinne

Selbstschutz anstatt Selbstverteidigung 1

Das Ego und seine Rolle in einer Selbstverteidigungssituation im stoischen Sinne

Die stoische Philosophie, die in der Antike von Denkern wie Epiktet, Seneca und dem römischen Kaiser Marcus Aurelius entwickelt wurde, betont den rationalen Umgang mit äußeren Umständen und die Fokussierung auf das, was in unserem direkten Einflussbereich liegt. Im Zentrum dieser Philosophie steht die Idee, dass unsere innere Einstellung die einzige Quelle des Glücks und der Tugend ist. Um diese innere Gelassenheit zu bewahren, sollen wir uns von übermäßigen Emotionen, wie Angst, Wut oder Stolz, lösen. In diesem Zusammenhang steht das Ego als eine der größten Hindernisse im Weg, besonders in stressreichen oder bedrohlichen Situationen wie der Selbstverteidigung.

Das Ego

Das Ego als emotionaler Verzerrer

Das Ego kann als jene Instanz im Menschen verstanden werden, die nach Bestätigung, Macht und Anerkennung strebt. Es will sich beweisen, will dominieren und fürchtet sich vor dem Gesichtsverlust. Im Kontext einer Selbstverteidigungssituation kann dieses egozentrierte Denken zu gefährlichen Verzerrungen der Realität führen. Anstatt die Situation rational zu analysieren, lässt das Ego uns die Umstände durch eine verzerrte Brille sehen. Man könnte sich schnell in seiner Ehre verletzt fühlen oder glauben, man müsse seine „Stärke“ beweisen, selbst wenn die Situation deeskaliert werden könnte.

In der stoischen Philosophie wird oft betont, dass wir die Welt nicht so sehen, wie sie wirklich ist, sondern durch die Linse unserer inneren Bewertungen. Epiktet betont: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir über die Dinge haben.“ In einer Selbstverteidigungssituation könnte das Ego dazu führen, dass man eine harmlose Konfrontation als tiefen persönlichen Angriff wahrnimmt. Das verführt uns zu Handlungen, die übertrieben, irrational und möglicherweise gefährlich sind.

Emotionale Kontrolle und die Rolle des Egos

Für Stoiker ist emotionale Kontrolle von entscheidender Bedeutung, insbesondere in angespannten Momenten. Der Einfluss des Egos auf unsere Gefühle kann dabei verheerend sein. Ein aufgeladenes Ego führt zu impulsiven Handlungen, angetrieben von Gefühlen wie Wut, Angst oder Stolz. Diese Emotionen verhindern, dass wir ruhig und besonnen bleiben. Stoische Gelassenheit ist jedoch nicht Gleichgültigkeit, sondern die Fähigkeit, sich nicht von flüchtigen Emotionen übermannen zu lassen.

Seneca lehrt in seinen Briefen: „Zorn ist ein kurzer Wahnsinn.“ Dieses Zitat zeigt, dass in Momenten der Wut oder Aufgeregtheit unsere Fähigkeit zur rationalen Analyse und sinnvollen Entscheidung beeinträchtigt ist. In einer Selbstverteidigungssituation kann der Zorn, der durch ein verletztes Ego hervorgerufen wird, dazu führen, dass wir aggressiv handeln, obwohl dies die Situation verschärfen könnte. Die Stoiker würden argumentieren, dass wir uns in solchen Momenten bewusst machen müssen, dass es nicht die Beleidigung oder die Bedrohung selbst ist, die unsere Wut auslöst, sondern unsere eigene Interpretation dieser.

Die Gefahr unkontrollierter Impulse

Das Ego steht oft hinter den Impulsen, die wir in stressreichen Momenten spüren. Es möchte uns dazu verleiten, schnell zu handeln, ohne nachzudenken. Dies steht im klaren Widerspruch zu stoischen Prinzipien, die von der Besonnenheit und Selbstkontrolle geprägt sind. Für die Stoiker ist es essenziell, zwischen dem, was in unserer Macht steht, und dem, was außerhalb unseres Einflusses liegt, zu unterscheiden. In einer Selbstverteidigungssituation können wir das Verhalten des Angreifers nicht kontrollieren, aber wir können unsere Reaktion darauf steuern.

Marcus Aurelius schreibt in seinen „Selbstbetrachtungen“: „Du hast Macht über deinen Geist – nicht über äußere Ereignisse. Erkenne dies, und du wirst Stärke finden.“ Der Fokus auf das innere Selbst anstatt auf die äußeren Umstände ist der Kern der stoischen Ethik. Das Ego jedoch zieht uns in die Außenwelt, lässt uns darüber nachdenken, wie wir von anderen wahrgenommen werden, und führt uns weg von der Klarheit des Geistes. In einer Selbstverteidigungssituation kann dieser Impuls gefährlich sein, da er zu Handlungen führt, die nicht dem Wohl aller Beteiligten dienen, sondern nur dem eigenen Stolz.

Das Ego und falsche Prioritäten

Ein weiteres Problem, das das Ego in einer Selbstverteidigungssituation verursacht, ist die Verschiebung der Prioritäten. Während die stoische Ethik darauf ausgerichtet ist, langfristig Tugend, Weisheit und innere Ruhe zu kultivieren, drängt das Ego auf kurzfristige Genugtuung. Es möchte, dass wir sofort reagieren, um unseren Stolz zu retten oder um uns zu beweisen. Dies führt oft zu Handlungen, die langfristig gesehen nachteilig sind.

Ein Stoiker würde in einer solchen Situation stets versuchen, die Handlung zu wählen, die in Übereinstimmung mit der Tugend steht, auch wenn dies bedeutet, kurzfristig „nachzugeben“. Ein Beispiel hierfür wäre, eine Situation durch Deeskalation zu entschärfen, selbst wenn das Ego dies als Schwäche interpretiert. Letztlich zählt für den Stoiker nicht, was andere denken oder wie man in den Augen der Außenwelt dasteht, sondern ob man im Einklang mit den eigenen moralischen Prinzipien handelt.

Epiktet erklärt in seinen „Handbüchern“, dass wir nur dann frei sind, wenn wir uns von den Meinungen anderer losgelöst haben und nicht länger von externen Bestätigungen abhängig sind. Für einen Stoiker wäre es in einer Selbstverteidigungssituation daher entscheidend, sich nicht durch das Ego zu impulsivem Handeln hinreißen zu lassen, sondern sich auf die eigene innere Stärke und Vernunft zu besinnen.

Quellen:

• Epiktet: „Handbücher“. Übersetzt von Johann Schweighäuser, 1798. • Marcus Aurelius: „Selbstbetrachtungen“. Herausgegeben und übersetzt von H. von Arnim, 1910. • Seneca: „Moralische Briefe an Lucilius“. Übersetzt von Richard M. Gummere, 1917

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